Artikel vom 19.04.2023

Die Stufen zum Eheglück: Barrierefreies Standesamt - was tut sich?



Jawort mit Hindernissen: Bei der Hochzeit mit Rollstuhl sind auf dem Weg zur Trauung zahlreiche Treppenstufen zu meistern. Trotzdem sollen alle dabeisein! Auch die gehbehinderten Großeltern, wie aktuell in Hennigsdorf, Brandenburg. Leider sind auch im Jahr 2023 viele Standesämter und Traumlocations noch immer nicht barrierefrei.

Geburt, Todesfall und Hochzeit zentrale Lebensereignisse

Am schönsten Tag im Leben sollen die wichtigsten Menschen mitfeiern. Für ein Brautpaar aus Hennigsdorf in Brandenburg gehören die Großeltern unbedingt dazu! Pech, denn das Trauzimmer ist mit Gehstock, Rollator und Rollstuhl nicht zu erreichen. Oma oder Schwiegervater die Teilnahme an der Trauung verwehren, weil das Standesamt nicht barrierefrei ist? Ein Unding, aber in Deutschland noch immer eher Regelfall als die Ausnahme. Nur ein Bruchteil historischer Gebäude wie Rathäuser, Kirchen und Schlösser sind auf Rollstuhlfahrer vorbereitet. Im Rathaus Berlin Pankow ist die Treppe zum Standesamt der CDU-Fraktion ein Dorn im Auge. Dort thematisiert man den regelmäßigen Bürgerfrust, weil Barrieren und zeitliche Verzögerungen bei der Ausstellung wichtiger Urkunden auch zu finanziellen Nachteilen führen - sich z. B. die Zahlung von Kindergeld verzögert. Bürger, so das Argument, suchten das Standesamt im Kontext einschneidender Lebensveränderungen wie Geburt, Tod eines Angehörigen oder Hochzeit auf. Eine bürgerfreundliche Verwaltung zeichne sich dadurch aus, Menschen in solchen Lebensphasen nicht noch zusätzlich emotional und finanziell Steine in den Weg zu legen.

Wunschzettel: Mobile Rampen, Treppenlift, Begleitpersonen!

Als kurzfristige Lösung schlägt die CDU mobile Rampen zum Trausaal vor. Aber auch diese gibt es bisher in Pankow nicht, obwohl dort keine Ausweichmöglichkeit für Brautpaare existiert. Braut kurzerhand schon vor der Hochzeit über die Schwelle tragen? Wer das nicht will, muss sich andernorts umsehen. Auf der Standesamt-Webseite heißt es: Man bedaure, dass das Trauzimmer für Rollstuhlfahrer und Menschen mit Gehbehinderung nicht zugänglich sei. Immerhin sind entsprechende bauliche Maßnahmen im Rathaus Pankow jetzt in der Umsetzung. Im sächsischen Görlitz ist man schon weiter. Das Rathaus ist bekannt für seine fotogene so genannte Hochzeitstreppe. Auf geht's, Richtung Trausaal - zunächst mit dem Fahrstuhl am separaten Eingang. Weil ins Hochzeitszimmer selbst (noch) kein weiterer Aufzug führt, bringt ein Treppenlift die Rollifahrer unter den Brautleuten und Hochzeitsgästen - begleitet durch städtische Mitarbeiter - an den Ort der Sehnsucht.

Irre: Rollstuhl unter weißem Spitzendress versteckt

Auch im Alten Rathaus, Standesamt Fürstenfeldbruck, Oberbayern, ebnet man Wege. Im Herbst 2021 beschloss der Stadtrat, jährlich 900.000 Euro in ein Projekt namens ffb.barrierefrei zu investieren. Weil der Denkmalschutz einem barrierefreien Umbau entgegensteht, orderte die Stadt kurzerhand einen transportablen Treppensteiger. So wird das Standesamt über die Steintreppe an der Rathausaußenseite erreicht. Ja, Heiraten mit Rollstuhl erfordert erhöhten Planungsaufwand! Gleichzeitig scheint das Thema barrierefreie Trauung in deutschen Medien eher ein Schattendasein zu fristen. Von Berichten über groteske Ideen wie weißen Rollstuhlbezügen mit Spitzenbordüre einmal abgesehen, um das Hilfsmittel darunter zu verstecken. Was ohnehin nicht funktioniert, zudem unpraktisch ist - und die Braut damit wie eine verunglückte Hochzeitstorte auf Abwegen wirken lässt.

Gesucht: Traumkleid - und Traumkulisse mit Rampe!

Den Rolli mitstylen, ins Hochzeitsoutfit einbeziehen? Gern, aber dann bitte dezent und mit Stil! Aber gar nicht so einfach, wenn sich schon im Brautmodengeschäft erste Barrieren wie künstliche Catwalk-Stufen im Raum aufbauen. Bräute, die nicht auf ein normales Partykleid zurückgreifen möchten, müssen sich auf die Suche nach einer Brautboutique mit barrierefreien Umkleidekabinen machen. Und auch sonst ist beim Heiraten im Rollstuhl einiges zu beachten. Z. B., ob das Hochzeitskleid auch im Sitzen noch atemberaubend aussieht: Macht es eine schöne Taille? Oder kneift es und schlägt hässliche Falten? Um nach dem Ja! zünftig zu feiern, braucht es ebenfalls intensive Recherche nach der perfekten barrierefreien Location, damit alles - Treppen, Türen, Toiletten und Hotelzimmer - rollstuhlgerecht ist.

Entpannt feiern, aber ohne faule Kompromisse

Niemand will am eigenen Hochzeitstag Kompromisse eingehen. Ideal nach Aussage Betroffener: Eine Hochzeitslocation, wo alles stattfindet - Trauung und Festlichkeiten. So entfällt das Hin- und Herfahren zwischen den Programmpunkten für alle mit Mobilitätseinschränkung - nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für Senioren und Eltern mit Kinderwagen. Wie sich zeigt, ist eine Hochzeit mit Rollstuhl ist in vielerlei Hinsicht anders, auch was typische Bräuche wie den Hochzeitstanz angeht. Hochzeitsplanung kostet immer Kraft. Energie, die sinnvoll investiert sein will: Machen uns Ideen wie Brautentführung oder bestimmte Spiele Spaß, nur, weil "man das eben so macht"? Wenn nicht - abgehakt!

Barrierefreiheit im Standesamt sollte Normalität sein

Von über 84 Millionen Menschen in Deutschland sind ganze 1,5 Millionen auf den Rollstuhl angewiesen. Trotzdem ist die im Standesamt eigentlich gesetzlich garantierte Barrierefreiheit bundesweit noch immer nicht umgesetzt. Weil keinesfalls selbstverständlich, braucht es noch immer Improvisation und Sonderlösungen. Etwas, das Behinderte und Menschen mit Mobilitätseinschränkung zu Bittstellern degradiert. Normalität sieht anders aus. Weil es am Tag der Hochzeit nicht um den Rollstuhl, sondern um den Menschen darin geht!

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